Auf nach Australien!

Es klingelt an der Haustüre der Strathean Ave und ich öffne. Ein älterer Herr in Rot Kreuz Klamotten steht draußen. Er zeigt mir seinen Spendensammlerausweis und nach einem kurzen Plausch werfe ich 2Dollar in seine Spendenplastiktüte.
Mit einem gemeinsamen Kaffeenachmittag wird heute Becks, eine langjährige Betreuerin in der Strathean Ave, verabschiedet. Nach einer kurzen Ansprache bekommt jeder Bewohner Kuchen und einen Milo, was sich wohl am ehesten mit einem Kakau in Deutschland vergleichen lässt.

PartyAbschiedBecks

Auch für mich rückt der Augenblick näher, mir Gedanken über die Zeit nach NZCare zu machen. Im Hinterkopf hatte ich es schon länger, doch nun ist meine Entscheidung gefallen – ich will nach Australien.
Gleich am Tag darauf verfasse ich meine schriftliche Kündigung, welche zum 19. März wirksam wird.
In verschiedenen Reisebüros hole ich mir Angebote ein und beantrage mein Visum, welches auch als Tourist nötig ist.
So werde ich jetzt am 22. März für sechs Wochen nach Australien reisen, in Sydney ankommen und ab Melbourn wieder zurück nach Christchurch fliegen.

SpziergangamAvalon

Nachdem alles unter Dach und Fach ist, mache ich einen langen Spaziergang entlang am Avalon, der durch Christchurch fließt.
Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf, Vergangenes, Gegenwärtiges und freilich auch die Zukunft. In Deutschland ist der Fasching nun vorbei und mit dem Aschermittwoch beginnt die Fastenzeit, welche bis Ostern dauert. In den vergangenen Jahren hatte ich immer an der Aktion „7 Wochen Ohne“ teilgenommen, welche oft von Kirchengemeinden angeboten wird. Dabei trifft man sich einmal in der Woche, feiert zusammen Gottesdienst und sieht sich anschließend bei einen Tee, um miteinander ins Gespräch zu kommen und die Erfahrungen der Fastenzeit auszutauschen. Dabei überlegt sich jeder, auf was er in den kommenden 7 Wochen verzichten will. Manche entscheiden sich für Schokolade, manche für Kaffee oder die Zigarette am Morgen. Die Zeit, welche man dadurch gewinnt, sollte man dann sinnvoll füllen. Man kann auch den Weg beschreiten nicht etwas weg zu lassen, sondern z.B. sich Zeit nehmen zu malen oder zu meditieren. Es geht eben darum bewusst in diesen 7 Wochen zu leben.

Ein halbes Jahr

Jeder Bewohner hat heute schon einen kleinen Ausflug hinter sich, außer Kathe. So hole ich ihren Sonnenhut und schiebe sie in ihrem Rollstuhl einige Stassen weiter zu einem großen Einkaufszentrum. In der Zeitschriftenabteilung sucht sie sich ein Magazin aus, welches wir kaufen und anschließend gönnen wir uns beide einen Flat White Kaffee im kleinen Bisto gegenüber.
Abends bin ich an der Reihe für sieben Personen zu kochen. Ich mache Fischstäbchen, Stampf mit Butter und gebackenen Bohnen. Als Nachspeise gibt es einen Schokopudding.
Um 20Uhr klingelt das Haustelefon, meine Managerin ist am Apperat und fragt ob ich bereit wäre eine Nachtschicht in einem anderen Haus von 21Uhr bis morgens um 7Uhr zu arbeiten. Erst weis ich nicht so recht, sage dann trotzdem zu. 18km weiter erreiche ich kurz nach 21Uhr das andere Haus. Die fünf Männer, welche hier leben, schlafen bereits schon alle, nur einer schreit ab und zu nach seiner „Mummy“. Ich wasche und trockne Wäsche, putze die Fenster von innen mit Ajax und mache mir anschließend um 1Uhr morgens ein Sandwich und einen heißen Tee mit Milch. Den Wecker meines Handys stelle ich jeweils auf 30 Minuten ein, damit ich nicht einschlafe. Im TV laufen die Olympischen Winterspiele. Meine Aufgaben habe ich soweit erledigt jetzt heisst es sich die Nacht um die Ohren schlagen und alle Stunde nachzuschauen, wie es um die einzelnen Bewohner steht.
Um 5:30Uhr ist der erste auf, ich suche mit ihm Klamotten für den Tag aus und helfe ihm beim Duschen. Den zweiten Bewohner wecke ich um 6:30Uhr und verfahre genauso mit ihm. Eine halbe Stunde später kommt schon meine Ablösung. Ich kriege einen rießigen Schrecken, weil mir nicht gesagt wurde, das die beiden Hepatitis haben, ich zwar Einweghandschuhe im Bad trug, aber nicht als ich die Betten abzog, welche nass waren. Gut das ich vor Liberia 2001 eine Impfung bekam, jetzt will ich nur das beste hoffen.
Bevor ich nach 16 Stunden Dienst zurück in die Kilmore Street fahre und in mein Bett gehe, mache ich noch einen Zwischenstopp am Strand, da es so ein herrlicher Morgen ist. Ich laufe nahe dem Pier entlang, genieße die frische Morgenluft und die warmen Sonnenstrahlen. Morgen am 20. Februar 2006 ist es nun genau ein halbes Jahr her, das ich neuseeländischen Boden betreten habe. Nie hätte ich im Voraus zu erdenken vermocht was ich bisher schon hier in diesem Land der Träume für einmalige Erlebnisse und Erfahrungen machen durfte.

NachNachtschichtStrand

God Defend New Zealand

An jedem Arbeitstag wache ich nun seit zwei Wochen mit ein und demselben Lied auf „God Defend New Zealand“ – Neuseelands Nationalhymne, welche täglich um 6Uhr morgens im Radio gespielt wird. Auch für die Bowohner der Strathean Ave, wie das Haus heißt wo ich arbeite, beginnt jeder Tag ähnlich, nur nicht am Wochenende, da haben alle frei, müssen nicht zur Arbeit und können länger im Bett bleiben. Vorallem Brad genießt es, wenn er nicht so früh raus und in die Schule muß.

BradamMorgen

Es brauchte Zeit, bis Brad sich an mich und ich an ihn gewöhnt habe, aber seitdem hat er keinen Kinderkassettenrecorder mehr nach mir geworfen. Ich verstehe nun besser, was er mit manchen Gesten und Lauten ausdrücken will, wenn auch der Lernvorgang bei weitem noch nicht abgeschlossen ist – beiderseits.
Einige Highlights gibt es natürlich über die Woche auch, worauf sich alle Bewohner der Strathean Ave mehr oder weniger freuen. Als ein Highlights darf man wohl das Abendessen am Freitag bezeichnen, da dies der traditionelle Fish and Chips Tag ist. Diesmal bin ich an der Reihe zusammen mit Nora, einer Bewohnerin der Strathean Ave, welche laufen kann, 7 Portionen Fish and Chips vom gleichnamigen Geschäft zu holen. Auf der ganzen Fahrt nervt mich Nora, dass sie eine „Caotee“ will, was Cup of Tea heißen soll. All meine Erklärungen helfen nichts und auch als ich drei Tage später zu einem Whirlpoolbesuch mit ihr gehe, sitzt sie im Wasser und fragt ständig nach einer „Caotee“. Da sie alle Ketten und Bänder liebt rennt sie in die Bademeisterkabine worauf ich sie von dort zurückhole und erkläre, das wir hier nicht daheim sind. Zurück in der Strathean Ave koche ich zusammen mit Nora erstmal eine Kanne Tee, die schnell ausgetrunken ist. Dannach setzt sich Nora mit ihrem kleinen Plastikfass, in dem all ihre Ketten und Bänder sind, aufs Sofa ins Wohnzimmer und ich habe erstmal Ruhe bis sie wieder das Verlangen nach einem „Caotee“ packt.

NoraundKetten

Waitangi day

Kathe sitzt in ihrem elektronischen Sessel und blättert dabei in einem ihrer Magazine, welche sie so gerne hat. Sprechen kann sie nicht, doch zur Begrüßung und zum Dank hebt sie nacheinander die Hände, die man dann berühren kann. Heidi sitzt links neben ihre, auch sie kann nicht sprechen, dafür um so herzlicher lachen, wenn ihr etwas gefällt. Sitzt sie nicht richtig in ihrem Rollstuhl, fängt sie laut das Schreien an und auch wenn sie über ihre Magensonde zu schnell ihre Medikamente oder Nahrung verabreicht bekommt. Kathe und Heide brauchen die meiste Zeit am Morgen im Bad, da ich sie beide mit einem speziellen Lift aus dem Bett und dann auf ein Duschbett fahre.
Wenn die Zeit zu kurz ist am Morgen hebe ich die beiden auch selbst, was man dann aber nicht viel später im Rücken merkt.

BewohnerNZCare1

Um 10Uhr fangen alle Bewohner das arbeiten an und dazu muss ich sie jeweils mit dem Behindertenbus in verschiedene Arbeitsstellen fahren. Freilich können sie keine solche Arbeit wie wir alle verrichten, aber damit man nicht sagen muss, sie gehen zur Therapie, schwimmen oder wie auch immer, nennt man es eben work.
Nachmittags bekommt Anne einen Einlauf und muss dannach 20 Minuten auf der Seite liegen bleiben. Alle fünf Minuten gehe ich nachsehen, ob sie noch liegt. Als ich das 3 Mal ins Zimmer komme ist sie weg und alles im Zimmer verteilt. Ich öffne die Fenster, setze Anne auf die Toilette, hole mir Einweghandschuhe und fange an das Zimmer und Anne zu reinigen. Währenddessen versuche ich an etwas schönes zu denken wie später die neuen E-Mails von Euch lesen zu dürfen.
Als ich abends zurück in der WG bin erwartet mich eine rießige Überraschung – zwei sehr gute Freunde aus Deutschland haben mir ein Päckchen geschickt. Ich mache es langsam auf und hole eine Karte, eine CD und ein Buch des Autors Anselm Grün heraus, die über die Fasten- und Osterzeit handeln.

GeschenkOsterzeit

Nach einer Woche habe ich meinen ersten freien Tag. Er fällt auf Neuseelands Nationalfeiertag , den sogenannten Waitangi day. 1840 wurde am 6. Februar ein Vertrag zwischen den Vertretern der Maori mit dem neuseeländischen Governor geschlossen.